Der Brasilianer Ed Motta steht für die perfekte Mischung aus Jazz und Soul. Sein kräftiger Bariton, sein großartiges Pianospiel und seine funky Band machen Mottas Musik zum großen Vergnügen. Im Oktober kommt er zusammen mit Matti Klein (Piano, Keyboards/Berlin), Yoràn Vroom (Schlagzeug/Amsterdam), Laurent Salzard (Bass/Paris) und Arto Mäkelä (Gitarre/Helsinki) auf eine gemeinsame Europatournee. Im Vordergrund steht dabei die Präsentation seines aktuellen Albums „Criterion Of The Senses“ (Must Have/Membran). Den in Brasilien von seinen Fans liebevoll ´Koloss von Rio´ genannten Künstler baten wir vorher zum Interview.

Sie sind 1971 in Rio de Janeiro geboren, wuchsen in Tijuca auf und leben mit ihrer Frau heute in der Nähe des botanischen Gartens. Als Neffe des bekannten Sängers Tim Maia gehörte Musik sicher schon in ihrer Kindheit/Jugend zum Alltag, oder?

Meine Mutter war die ältere Schwester von Tim Maia. Er war einer der Pioniere, die ab den 1970er Jahren Funk und Soul in die brasilianische Popmusik eingebracht haben. So waren brasilianische Musik und angloamerikanische Musik sehr präsent in unserem Haus. Ich habe aber zunächst erste Erfahrungen mit Hardrock (größter Einfluss Led Zeppelin) in der Band Kabbalah gemacht, da habe ich noch Schlagzeug gespielt. Nach dem Wechsel zum Leadsänger bei Conexao Japeri gelangen uns 1988 mit der ersten Platte zwei Hits in Brasilien, darunter war der Funk-Titel „Vamos Dancar“.

Heute sind sie vor allem als großer Jazz-Sänger/-Pianist bekannt. Wann gewann dieser Stil bzw. das Genre an Bedeutung für sie?

Ungefähr ab Beginn der 1990er Jahre, seit ich als Solo-Künstler aktiv bin. Vor allem im Crossover mit anderen Musiktraditionen und Genres wie Funk, Soul und Pop. Dagegen haben Bossa Nova, MPB oder Samba für mich wenig bis gar keine Bedeutung gehabt, erst bei einem rund einjährigen Auslandsaufenthalt in New York Mitte der 1990er Jahre habe ich u.a. durch Roy Ayers den Blick zurück nach Brasilien schätzen gelernt. Da habe ich ja dann auch 1997 meine erste Goldene Schallplatte erhalten. Aber ich schreibe u.a. Filmmusik/Soundtracks, Kompositionen für andere Künstler und auch das Musical „7“ stammt von mir, dass erfolgreich in Rio de Janeiro und Sao Paulo lief. Die Hauptrolle übernahm übrigens die bekannte afrobrasilianische Sängerin/Schauspielerin Zezé Motta (nicht mit Ed verwandt).

Ihre letzten Alben sind vor allem in Europa ein großer Erfolg, sie waren aber auch in in den USA, Australien und Japan präsent. Erzählen sie uns doch ein bisschen über „AOR“ (2013) „Perpetual Gateways“ (2016) und „Criterion Of The Senses“ (2018).

Den Alben gemein ist, dass ich musikalisch ständig die Grenzen zwischen Jazz, Funk, Soul und Pop überschreite, mal mehr, mal weniger. „AOR“ war mein Tribut an den AOR, den Adult Orientated Rock der USA, aber auch an AOR aus Brasilien, mit KünstlerInnen wie u.a. Rita Lee oder Ivan Lins. In Brasilien ist das Album fast zeitgleich mit portugiesischen Texten erschienen. „Perpetual Gateways“ wurde in Kalifornien mit Kamau Kenyatta (u.a. Gregory Porter) produziert, brachte Jazz mit Soul zusammen. Es lebt vor allem von den zahlreichen amerikanischen Gästen. „Criterion Of The Senses“ entstand in Rio de Janeiro. Natürlich genießt die Musik wieder große Wertschätzung, aber den Lyrics kommt eine deutlich größere Bedeutung als bisher zu. Es geht mir dabei in zutiefst poetischer Weise um das Leben. Die acht Stücke habe ich mit brasilianischen Musikern eingespielt, aber meine europäische Band, mit der ich seit sechs Jahren zusammenarbeite, kann das neue Material kongenial auf die Bühne bringen.

In Rio de Janeiro wirft der ´Caranval 2020´ seine Schatten voraus, wie halten sie es mit Samba und Fußball, dessen Popularität in Brasilien ja nie schwindet und u.a. auch Künstler wie Jorge Ben Jor („Mas Que Nada“) inspiriert hat.

Beides hat mich nie interessiert, den ´Carnaval´ schaue ich mir maximal im TV an, Sport interessiert mich generell nicht. Einzig dem Film und Soundtrack zu „Orfeo Do Carnaval“ aus dem Jahr 19959 kann ich wegen Antonio Carlos Jobim einiges abgewinnen.

Die Wahl von Jair Bolsonaro zum neuen brasilianischen Präsidenten (01. Januar 2019) hat in Brasilien einen politischen Rechtsruck ausgelöst. Bei seinen Anhängern sollen sogar schwarze Listen von seinen Kritikern aus Künstlerkreisen aufgetaucht sein. Braucht es da z.B. eine neue Bewegung wie ´Tropicália´, bei der brasilianische Künstler ab 1967 kulturpolitisch gegen die Militärregierung aktiv wurden.

Wir leben generell in düsteren Zeiten, nicht nur in Brasilien. So etwas wie z.B. „Tropa De Elite“ ist schon lange Realität in Rio de Janeiro. Ich persönlich kann aber mit ´Tropicália´nichts anfangen. Die meisten der KünstlerInnen wurden überschätzt, nutzten ´Tropicalismo´ für ihre eigne Auslandskarriere. Die einzige Ausnahme macht da für mich Chico Buarque. Ich persönlich brauche also keine neue ´Tropicália´.

Sie besitzen weit über 30.000 LP´s, eine sehr beachtliche Sammlung, schätzen Kulinarik, Wein, Bier und Tee. Wann hat ihre Sammelleidenschaft begonnen, welche Küche bevorzugen sie?

Ich habe schon als Jugendlicher angefangen Platten zu kaufen, in Tijuca gab es jede Menge guter Second Hand-Geschäfte. Allerdings fast nur LP´s, Singles besitze ich wohl nur so um die 200. Aber für mich gehört meine Sammlung zu meiner Persönlichkeit, es ist das, was mich dazu bewegte Musik zu machen, zum Instrument zu greifen und einer von ihnen zu sein. Ich will bis heute noch das machen, was ich selbst so gerne höre. Mit der typischen brasilianischen Küche wie Feijoada oder Moqueca kann ich wenig anfangen, vielleicht esse ich einmal Feijoada in drei Monaten. Wenn meine Frau und ich ausgehen, dann bevorzugen wir die französische und italienische Küche. Ich bin in vielem wohl wirklich ein Nerd, mein Vater nannte mich immer ´eurocentric´.

Bei einer solchen Sammlung nach der ein oder anderen Lieblingsband oder einem Lieblingskünstler zu fragen, erscheint fast aussichtslos. Beschränken wir uns daher aus Zeitgründen auf die Zahl Drei.

OK, die Banda Black Rio, 1976 gegründet, Samba, Funk und Jazz in Vollendung. Das deutsche Michael Naura Quintett mit „Call“ aus dem Jahr 1971, erschienen auf dem legendären Schwarzwälder Label MPS Records. Und dann noch Manfred Krug, von dessen vier Amiga-Jazz-Alben ich drei im Original besitze.

Text: Frank Keil | Bild: PR

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